an anderer Stelle fortsetzen. Und wenn das Zeichnen abgeschlossen ist, transformiere ich die Linien, in dem ich sie tilge, ausradiere, ausschneide, wegfräse oder mit dem Bohrer in einen anderen Bildträger übertrage. Ich lösche, was die Zeichnung lesbar an meine Hand bindet, und öffne sie dabei. Der Schnitt ist für mich ein wesentliches transformatives zeichnerisches Ereignis. Ein Schnitt in eine Zeichnung ändert diese grundlegend, nicht destruktiv, sondern als Möglichkeit der Analyse: die Einheit des Bildes zerfällt, Elemente lösen sich vonein ander, es entstehen Löcher im Blatt, die Bestandteile werden isoliert, freigestellt, ausgeschnitten oder ganz getilgt. Striche, lesbare Spuren der Hand werden ausge schnitten und damit in Frage gestellt. Zugleich wird das Papier durch den Schnitt zum Körper, dessen Löcher ich von beiden Seiten des Papiers sehen kann. Und dann ist der Schnitt immer auch ein Rand, eine Kante zu einer wesenhaften Anders heit. Es entsteht etwa ein durchlässiges Netz, durch das ich einen Hintergrund sehe. Durch Löcher und Ausschnitte wird die Zeichnung durchlässig: Werk und Dahinter werden Raum und bedingen sich gegenseitig. Raum ist eine aktive Bezugnahme, er ent steht, indem ich ihn durchmesse, mit meinen Schritten, oder Blicken, die ich punktuell an etwas festmachen kann. Vorstellungen eines Raumes entstehen in beweglichen Kon stellationen, deren Teil ich bin. Raum ist entsprechend Zwischenraum, durch einzel ne Setzungen und Orte wahrnehmbar. Katharina Hinsberg Finger mit Wachs- kreide präpariert, 2024 Lacuna (Säume) Prof. Katharina Hinsberg Ich stelle mir Zeichnen manchmal wie einen Wasserstrahl vor, der, aus einem Schlauch geschleudert, kurz als erstarrte Tropfenlinie in der Luft steht. Dem Zeich nen wird immer etwas vorausgeworfen, eine Vorbereitung, eine Idee, ein Entwurf. Mit der Entscheidung meiner Mittel und Verfahren wird eine Linie angelegt, sie manifestiert und zeigt, was vorbe reitet wurde. Das Zeichnen ist ein gegen wärtiges Zusammenspiel von Bewegungen, dem Druck und der Geschwindigkeit der Hand, der Drehung des Armes, dem Stakkato der Striche, dem Abrieb des Stifts, dem Volumen des Papiers, der Härte der Unterlage, den Geräuschen, die ich erzeuge und denen ich folge. Ich zeichne jetzt, was lesbar bleibt. Manchmal zeichne ich mit präparierten Fingerspitzen, die ich in Wachsfarbe tauche. Die Hände halten dann kein Werk zeug (Pinsel oder Stift), sie bleiben offen, der Zeichenfläche zugewandt. Das Zeichnen ist dann ein Berühren, und alle Bewegungen – das Spreizen oder Schlie ßen der Finger, ihr unterschiedlicher Druck, die Bewegungen aus den Hand gelenken, dem Arm, der Schulter, des ganzen Körpers – fließen unmittelbar in die Linienentstehung. Ich bestimme die Bedingungen des Zeichnens, aber die Beidhändigkeit und die Gleichzeitig keit von ZehnFingerSpuren kann ich sich kaum kontrollieren. Zeichnend folge ich der Dynamik eines Prozesses, den ich voran treibe. Das Zeichnen ist deshalb immer gleichzeitig ein Machen und ein Lassen. Meine Aufmerksamkeit versucht dabei meinen Bewegungen zu folgen, aber springt und schlingert zwischen den gleich zeitigen Ereignissen der Linienentstehung hin und her, beobachtend, führend und unkontrolliert zugleich. g r e b s n i H a n i r a h t a K . f o r P ) e m u ä S ( a n u c a L e g ä r t i e B Linien und Spuren sind immer ein Anfan gen und Fortsetzen zugleich: tastend, zöger lich, abbrechend, manchmal blind gezeichnet, entsprechend akustisch ge setzt, im Stakkato gehackt, getröpfelt, ausgreifend. Ich sehe zu, wie Räume zwi schen den Linien entstehen, wie sie sich aufeinander beziehen, wie sich Formen wiederholen, Linien abbrechen und sich 4 2 0 2 r a a s K B H Im Punkt, im Schnitt, in der Differenz ent steht Ort und teilt sich darin (mit). Ohne Ort kann nichts stattfinden. Eine Fläche wird in der Differenz bestimmt und orientiert. Die Differenz ist ungeheuer und produktiv: Sie ermöglicht und öffnet, ohne selbst mög lich zu sein. Sieht man von seinen Rändern ab, ist Papier ortlos: eine lang und breit ausgedehnte weiße Fläche, verschwindend dünn und nahe zu körperlos. Die Blattkanten sind schmal und messerscharf. Ich färbe diese Kanten mit roter Tusche, sie markieren und säumen 2 4 0